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Der Herrligkoffer-Explorer-Club ist nun in Gründung und wird demnächst mit einer eigenen Webseite vorgestellt.

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Deutsch-Österreichische Willy-Merkl-Gedächtnis-Expedition zum Nanga Parbat 1953

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Am 2. Juli 1952 verständigte Dr. med. Karl Maria Herrligkoffer den Verwaltungsausschuss des DAV von seinem Vorhaben, eine Expedition zum Nanga Parbat zu führen. Herrligkoffer war ein Halbbruder von Willy Merkl, dem Leiter der im Jahr 1934 tragisch gescheiterten Expedition zum „deutschen Schicksalsberg“.

Auch Merkl hatte zu jenen gezählt, die damals im Höhensturm ums Leben gekommen waren. Nun, fast zwanzig Jahre später, war Willy Merkls alpin weitgehend unerfahrener Halbbruder von dem Gedanken beseelt, das von seinem bewunderten Vorbild begonnene Werk zu Ende zu führen.

Die etablierten alpinen Kreise in München konnten sich für dieses Vorhaben nicht begeistern. Besonders bei der Deutschen Himalaja-Stiftung stieß das Vorhaben auf Ablehnung. Die Opposition nahm an Schärfe zu, als sich Dr. Herrligkoffer daranmachte, seine Expedition mangels Unterstützung durch den DAV und staatliche Stellen systematisch durch Spenden aus der Industrie zu finanzieren. Zudem unterstützten viele Privatpersonen das Unternehmen durch finanzielle Zuwendungen. Publikationsrechte wurden exklusiv an einen Buchverlag und an eine Illustrierte verkauft. Einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung leistete die Deutsche London Film Gesellschaft. Sie beauftragte den prominenten Bergsteiger und Kameramann Hans Ertl mit der Produktion eines Dokumentarfilms.

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Zeigte sich der DAV-Hauptverein abweisend, so fand der tatkräftige Expeditionsmanager bei der Alpenvereinssektion-Sektion München ein offenes Ohr. Mit Albert Bitterling, Hermann Köllensperger und Otto Kempter fuhren drei Mitglieder der Sektion mit zum «deutschen Schicksalsberg». Die Schirmherrschaft für das Unternehmen übernahm mit viel Engagement der Münchner Oberbürgermeister Wimmer.

Auch der Österreichische Alpenverein unterstützte vorbehaltlos die Expedition, denn die österreichischen Spitzenbergsteiger Peter Aschenbrenner, Kuno Rainer, Walter Frauenberger und Hermann Buhl sollten am Nanga Parbat mit von der Partie sein. Die Leitung des Deutschen Alpenvereins räumte dem Unternehmen keine großen Erfolgschancen ein.

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Aber auch ohne den Segen des DAV schob die deutsch-österreichische Nanga-Parbat-Expedition im Mai und Juni 1953 auf der Nordseite des Berges langsam, aber stetig ihre Lagerkette entlang der von Willy Merkl 1934 verfolgten Route über die Flanken und Grate des Achttausenders empor. Obwohl die Tiroler und Münchner vorher nie gemeinsam am Berg gewesen waren, arbeiteten sie zusammen wie ein eingespieltes Team. Zu kleineren Auseinandersetzungen kam es nur hie und da zwischen der Mannschaft am Berg und der Führungsriege im Basislager. Am 19. Juni richteten Hermann Buhl, Otto Kempter und Hermann Köllensperger auf rund 6200 Metern das Lager 4 ein. Es lag unfern jenes Ortes, an dem im Jahr 1937 elf Mitglieder der von Karl Wien geleiteten Expedition in einer Eislawine den Tod fanden. Am 21. Juni präparierten Kempter und Buhl die teilweise blanke Rakhiot-Eiswand. Fixseile und eine Reihe von Stufen sollten den Hunza-Trägern einen sicheren Aufstieg ermöglichen.

Starke Schneefälle verhinderten das weitere Vordringen. Der zur Neige gehende Benzinvorrat für die Kocher zwang am 23. Juni gar zu einem Rückzug ins Lager 3. Gegen Ende des Monats war das Wetter so schlecht, dass alle bereits an einen Monsuneinbruch glaubten. Als am 30. Juni Herrligkoffer vom wolkenverhangenen Basislager aus den Befehl zur Räumung des Berges gab, war das Wetter droben in der Höhe wieder gut. Hermann Köllensperger, der wegen unerträglicher Zahnschmerzen hatte absteigen müssen, ist heute der Meinung, dass der Expeditionsleiter damals seine Anordnung im besten Glauben aufgrund des ihm vorliegenden Wetterberichts erteilte. Das Schicksal seines Halbbruders Willy Merkl vor Augen, wollte Herrligkoffer wohl um jeden Preis eine Wiederholung des Desasters von 1934 vermeiden.

Nur noch Frauenberger und Ertl sowie Buhl und Kempter und einige Hunza-Träger sind oben. Sie fühlen sich ausgezeichnet in Form und wollen die Chance auf den Gipfel unbedingt wahren. Mit aller Macht sträuben sie sich gegen den Rückzugsbefehl. Der Morgen des 2. Juli bringt den Durchbruch: Walter Frauenberger gelingt es, den Expeditionsleiter von seinem Irrtum zu überzeugen. Herrligkoffer gibt nach: «Wenn ihr meint, dann wünsche ich Euch alles Gute!»

Die Spitzengruppe lässt sich das nicht zweimal sagen. Mit einigen Hunza-Trägern spuren sie die inzwischen wieder eingeschneite Rakhiotflanke hinauf und errichten auf 6900 Metern das Lager 5, rund 600 Meter tiefer als das oberste Lager der Expedition von 1934. Obwohl Hans Ertl ausgezeichnet akklimatisiert ist, verzichtet er Otto Kempter zuliebe auf einen Gipfelversuch und steigt zusammen mit Walter Frauenberger wieder hinunter ins Lager 4.

Buhl und Kempter beschließen, am nächsten Morgen, um 3 Uhr aufzustehen. Der junge Münchner ist die gesamte Strecke von Lager 3 heraufgestiegen und schläft erschöpft ein. Voller Unruhe macht sich Buhl bereits eine gute Stunde vor der vereinbarten Zeit für den Abmarsch fertig. Als sich sein Münchner Kamerad um 2.30 Uhr aus dem Schlafsack schält, bricht der Tiroler auf, um vorauszuspuren. Doch wider Erwarten trägt die Schneeoberfläche, so dass der Innsbrucker gut vorwärts kommt. Um 7 Uhr hat er den Silbersattel erreicht; sein Höhenmesser zeigt 7400 Meter. Vor ihm liegt ein 3 Kilometer langer Hochfirn, der ganz hinten steil zum Nordgipfel emporzieht. Beim Überqueren des von Windgangeln durchfurchten Plateaus schaut der Tiroler zurück und erblickt am Silbersattel eine Gestalt, die sich gegen den Horizont abhebt. Sie kommt langsam näher, bleibt dann aber stehen, setzt sich hin und liegt dann ausgestreckt im Schnee. Otto Kempter hat aufgegeben. Wahrscheinlich hatte der anstrengende Aufstieg von Lager 3 am Vortag seine Kraftreserven aufgezehrt. Auch Buhl spürt die Höhe. Oberhalb von 7500 Metern wird jeder Schritt zur Willensleistung.

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Links unter dem Vorgipfel durchquerend, erreicht Hermann Buhl die 7812 Meter hohe Bazhinscharte, von der ein turmreicher, scharfer Grat zum höchsten Punkt hinaufführt. In schwieriger Felskletterei, die zum Teil den fünften Grad erreicht, gewinnt Hermann Buhl die Schulter des Achttausenders. Gegen 19 Uhr steht er am Gipfel des «deutschen Schicksalsbergs» – auf 8125 Metern. Dessen Besteigung hatte im Laufe der Jahre 21 Menschen das Leben gekostet.

Beim Abstieg wird Buhl in rund 8000 Meter Höhe zum Freibiwak gezwungen. Zum Glück ist das Wetter gut, kein Wind, kein Schneefall, keine allzu tiefen Temperaturen. Wenn das Wetter umgeschlagen hätte, wäre Hermann Buhl bestimmt nicht heimgekehrt. Er übersteht die Nacht und steigt ab, genarrt von Halluzinationen. Besonders zu schaffen machen dem total Erschöpften die Gegenanstiege. Jeder kleine Buckel wird zum Berg, den er sich nur mit äußerster Überwindung hinaufschleppt. Der Taumelnde findet sogar seinen Rucksack wieder, den er unterhalb des Steilaufschwungs zum Vorgipfel zurückgelassen hat. Am Abend sehen ihn seine Kameraden dann droben am Silbersattel als einen verschwindend kleinen Punkt, der sich bewegt.

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Noch vor Einbruch der Dunkelheit erreicht er das winzige Zelt. Zutiefst ergriffen empfangen Ertl und Frauenberger ihren fast schon tot geglaubten Kameraden. Beiden ist bewusst, dass ihr Freund mit seinem einsamen Gipfelgang ein Stück Alpingeschichte geschrieben hat. Auch nach Einschätzung von Hermann Köllensperger gab es damals wohl keinen anderen, der es Hermann Buhl gleichgetan hätte.

Daheim in Deutschland und Österreich jubelt die Öffentlichkeit. Sogar der Deutsche Alpenverein kann sich jetzt zu einer finanziellen Unterstützung der Expedition durchringen – wenn auch vorerst nur in Form eines Darlehens. Im Expeditionsteam selbst jedoch kriselt es. Nach der Rückkehr in die Heimat kommen die am Berg noch unterschwelligen Konflikte voll zum Ausbruch. Herrligkoffer sieht seine eigene Leistung und die der Mannschaft von der Öffentlichkeit nicht hinreichend gewürdigt; Buhl und Ertl unterstreichen, dass der Gipfelgang gegen den Willen des Expeditionsleiters durchgesetzt werden musste und ohne die übermenschliche Leistung eines Ausnahmebergsteigers nie zum Erfolg geführt hätte. Den von ihm unterzeichneten Expeditionsvertrag missachtend, begibt sich Hermann Buhl mit von Hans Ertl geschossenen Aufnahmen auf Vortragstournee, was eine gerichtliche Auseinandersetzung mit Herrligkoffer nach sich zieht. Während Hermann Buhl aus den Turbulenzen als glänzender Star am internationalen Bergsteigerhimmel hervorgeht und sich Karl Maria Herrligkoffer als Expeditionsveranstalter etabliert, katapultieren die Ereignisse nach der Nanga-Parbat-Expedition den „Bergvagabunden“ Hans Ertl endgültig aus der aufstrebenden deutschen Nachkriegsgesellschaft.

Siehe hierzu auch den Kommentar von Klaus Gerosa zum 65. Jahr der Erstbesteigung Nanga-Parbats.